Testbecken für Künstliche Intelligenz

Ein Ingenieur steht in einem Halbkreis aus rund zwei Meter hohen Screens, die ihn in eine Unterwasserwelt eintauchen. Er lenkt einen ferngesteuerten Roboter zum Fundament einer Windenergieanlage und lässt sich Großaufnahmen anzeigen, um sich vom ordnungsgemäßen Zustand der Struktur zu überzeugen. Mit der Berührung einer Screen öffnet sich ein Info-Fenster, das ihm zusätzliche Daten bereitstellt: Um welches Bauteil handelt es sich? Wann wurde es zum letzten Mal inspiziert – und von wem?

Die verschiedenen Technologien, die für die Realisierung dieses Szenarios erforderlich sind, werden zurzeit am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Bremen entwickelt und zusammengeführt. Die neue Maritime Explorationshalle, die am 28. April im Technologiepark Universität eröffnet wurde, macht es möglich: Neben dem Herz der Anlage, einem 23 Meter langen, 19 Meter breiten und 8 Meter tiefen Salzwasserbecken, verfügen die Wissenschaftler auch über einen Kontrollraum, der mit einer virtuellen 3D-Testumgebung ausgestattet ist.

Einsatz in Windenergie und Rohstoffgewinnung

Das Ziel: Menschen sollen möglichst nicht mehr selbst in die dunklen, kalten Fluten der Meere steigen müssen, um Arbeiten unter Wasser zu erledigen. Im multimedialen Leitstand sind sie nicht nur sicherer, sondern haben auch mehr Informationen zur Verfügung. Obendrein kann ein Roboter wesentlich tiefer tauchen als ein Mensch. Allerdings müssen die Maschinen noch einiges lernen, ehe sie alle Arbeiten verrichten können, für die sie gebraucht werden. Die Maritime Explorationshalle bietet dafür hervorragende Voraussetzungen: Die europaweit einmalige Testanlage ermöglicht im 3,4 Millionen Liter fassenden Becken die Nachstellung unterschiedlichster realer Einsatzszenarien.

Computer und Sensoren für 6000 Meter Wassertiefe

Neben der Wartung von Offshore-Windparks beinhaltet das die Inspektion von Schiffen und Pipelines, die Erkundung unbekannter Gewässer oder auch die Reparatur von Lecks in Ölbohranlagen wie der berüchtigten “Deepwater Horizon” im Golf von Mexiko. Ein weiteres Anwendungsfeld der getesteten Roboter ist das Erschließen von Bodenschätzen und Energiereserven aus der Tiefsee.
Zusätzliche Labore komplettieren das technische Angebot der neuen Halle. Darunter sind neben der 3D-Testumgebung auch eine Druckkammer, in der Komponenten wie Antriebe, Sensoren und Computer bei einem Wasserdruck von bis zu 6.000 Metern Tiefe geprüft werden, sowie weitere separate Wasserbassins.

Roboterhand soll das Fühlen lernen

In der Druckkammer wird zurzeit auch eine Hand für Roboterarme getestet, die über drei Finger verfügt. Insgesamt sind sie mit 2400 Drucksensoren ausgestattet, um ähnlich sanfte Bewegungen zu ermöglichen wie eine menschliche Hand, denn herkömmliche Roboterarme sind wenig feinfühlig und richten daher regelmäßig Schäden an, wenn sie für einen Vorgang zu viel Kraft anwenden oder wenn sie nicht genau genug gezielt haben.

Unter Wasser soll die Hand noch ein weiteres Problem lösen: die häufig schlechte Sicht. Statt eine Kamera als Auge zu nutzen und sich anhand der Bilder zu orientieren, kann der Roboter den Tastsinn einsetzen. Dies ist beispielsweise bei Öl-Lecks hilfreich, wenn im Wasser nichts mehr zu sehen ist.

Informationsverarbeitung bleibt zentrales Thema

Bildverarbeitung bleibt dennoch ein wichtiges Feld bei der Weiterentwicklung der Unterwasserrobotik. Sofern ausreichend Energie zur Verfügung steht, arbeiten die Maschinen aktuell in der Regel mit Kameras. Sie haben bereits gelernt, Pipelines vom Meeresboden zu unterscheiden und ihnen autonom zu folgen. Im nächsten Schritt sollen sie auch Unterspülungen erkennen, die eine Gefahr für die Stabilität der Pipelines darstellen. Um stromintensive Beleuchtung zu vermeiden, setzt das DFKI dabei vielfach auf Sonartechnik.

Eine weitere große Herausforderung liegt in der Verarbeitung der gesammelten Daten. Die Tauchroboter sind häufig mit vielen Sensoren ausgestattet und erheben damit umfassende Daten. Statt sie alle langwierig zu übermitteln und tagelang auszuwerten, wollen die Wissenschaftler schon im Roboter automatisch die wichtigsten Informationen herausfiltern. Die Maschinen sollen auch intelligent entscheiden können, wofür sie ihre verfügbare Energie einsetzen, sofern sie nicht mit einem Kabel an eine Stromquelle angeschlossen sind.

“Wir bringen Dax-Unternehmen und kleine Mittelständler zusammen”

Prof. Wolfgang Wahlster, Vorsitzender der DFKI-Geschäftsführung, betonte bei der Eröffnung der Explorationshalle die Bedeutung der Künstlichen Intelligenz für die Erforschung der Meere. “Wir wissen mehr über die Oberfläche des Mars als über die Tiefsee”, sagte er. In Zukunft würden hybride Teams aus Robotern, Menschen und Software-Agenten zum Einsatz kommen, um sowohl den Weltraum als auch die Ozeane näher zu erkunden. Die Künstliche Intelligenz verbinde dabei eine Reihe von wissenschaftlichen Disziplinen – neben der Informatik auch Mechatronik, Kognitions-, Neuro- und Biowissenschaften sowie Linguistik und Psychologie.

Das DFKI, das rund 20 Unternehmen und Universitäten zu seinen Gesellschaftern zählt, lege dabei großen Wert auf Kooperationen mit der Wirtschaft. “Wir bringen Dax-Unternehmen und kleine Mittelständler zusammen”, betonte Wahlster. Das DFKI sei noch praxisorientierter als die Fraunhofer-Institute – es höre beim Bau eines Prototypen noch nicht auf, sondern begleite die Projekte teilweise auch noch im realen Einsatz auf dem Markt.

Joint Venture in Brasilien

Mit den ersten teilautonomen Systemen für die Tiefsee rechnet Professor Frank Kirchner, Standortleiter des DFKI in Bremen und Direktor des Forschungsbereichs Robotics Innovation Center, innerhalb der nächsten fünf Jahre auf dem Markt. Dafür sei unter anderem die Gründung eines Joint Ventures mit brasilianischen Partnern geplant – Brasilien verfügt über große Mengen an Rohstoffen in der Tiefsee.

Die Technologien, die für die Meere entwickelt werden, sollen teilweise aber auch in anderen Branchen zum Einsatz kommen. Neben der Raumfahrt setzt auch die bodenständige Landwirtschaft im Nordwesten verstärkt auf Roboter. In Osnabrück wird daher zurzeit die Gründung eines “Agricultural Robotics Lab” vorbereitet, das an das Bremer DFKI angeschlossen ist. Die Firma Grimme Landmaschinen zählt zu den Gesellschaftern des DFKI.

Für innovative Unternehmen aus der IT- und Medienbranche sind diese Entwicklungen einen Blick wert, denn ihre Kompetenzen werden benötigt und die Robotik steht noch am Anfang. Kirchner zitierte die frühere Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn aus dem Jahr 2005: “Robots from Bremen shall explore space and the underwater world.” Und fügte hinzu: “Das haben wir gemacht.” Allerdings bleibt noch viel zu tun.